Besorgniserregende Gesetzeslücken

26.11.2024

Eine Reihe "besorgniserregender Lücken" konstatiert der EU-Rechnungshof beim Thema Lebensmittelkennzeichnung. Auf Kritik stoßen unter anderem mangelnde Klarheit und zu viele Kennzeichnungssysteme, etwa bei der Nährwertkennzeichnung. Überdies seien Bezeichnungen wie "vegan" oder "vegetarisch" nicht reglementiert. Verhängte Bußgelder seien nicht abschreckend genug.

 

Bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln klaffen "eine Reihe besorgniserregender Lücken" in den Rechtsvorschriften der Europäischen Union. Zu diesem Ergebnis kommt ein am Montag (25.11.) präsentierter Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes (EuRH). Probleme haben die Prüfer auch bei Kontrollen und Sanktionen ausgemacht. Immerhin wird laut dem Bericht durch die bestehenden EU-Vorschriften sichergestellt, dass die Etiketten grundlegende Informationen für die Verbraucher enthalten.

Das für die Prüfung zuständige EuRH-Mitglied Keit Pentus-Rosimannus beklagte mangelnde Übersichtlichkeit. Es gebe Hunderte verschiedener Kennzeichnungssysteme, Logos und Werbeversprechen, die die Käufer entschlüsseln müssten. Laut Pentus-Rosimannus legen Unternehmen bei den Angaben auf den Verpackungen "große Kreativität" an den Tag.

Im Bericht wird sogar davor gewarnt, dass die lückenhaften EU-Rechtsvorschriften der Täuschung der Verbraucher Vorschub leisten. Selbst auf Produkten mit hohem Fett-, Zucker- oder Salzgehalt könnten nährwert- und gesundheitsbezogene Vorteile hervorgehoben werden. Zuckerhaltige Produkte wie Energieriegel könnten als High-Protein-Produkte beworben werden. Auch würden Verbraucher zunehmend mit von keinerlei Vorschriften regulierten Angaben zu angeblich gesundheitsfördernden Eigenschaften pflanzlicher Stoffe konfrontiert. Dazu gehöre etwa die Aussage "setzt neue Energien frei"; auch wenn diese und ähnliche wissenschaftlich nicht belegt seien.

Verbraucher zunehmend verwirrt

Nach Ansicht der Prüfer benachteiligen bestimmte Formen der Kennzeichnung einige Verbraucher sogar. Kritisiert wird, dass sich Lebensmittelallergiker mitunter mit übervorsichtigen Allergenwarnungen und vagen Aussagen wie "kann … enthalten" auseinandersetzen müssten. In der Praxis schränke dies ihre Auswahlmöglichkeiten ein. Besonders betroffen seien Vegetarier und Veganer: Dem Hof zufolge ist das Verwenden von Aufschriften wie "vegan" oder "vegetarisch" nicht reglementiert. Eine EU-weite Definition für solche Erzeugnisse gebe es aktuell nicht.

Auf Kritik der Rechnungsprüfer stößt zudem, dass Systeme zur Kennzeichnung des Nährwerts auf der Vorderseite von Verpackungen wie Nutri-Score, NutrInform und Keyhole nicht in allen Mitgliedstaaten zum Einsatz kommen. Standardisierte Vorschriften könnten den Verbrauchern jedoch dabei helfen, gesündere Lebensmittel zu erkennen und möglicherweise ernährungsbedingten Krankheiten vorzubeugen. Stattdessen habe in den EU-Ländern das Nebeneinander verschiedener Systeme mit jeweils unterschiedlicher Aussage und Zielsetzung genau den gegenteiligen Effekt. Die Verbraucher seien zunehmend verwirrt, anstatt Orientierung zu erhalten.

Unzählige freiwilliger Labels, Logos und Angaben, die die Verbraucher zum Kauf verleiten sollen, würden dies noch verstärken. In diesem Zusammenhang nennt der Luxemburger Hof sogenannte "Clean Labels" über das Fehlen bestimmter Inhaltsstoffe, wie etwa "antibiotikafrei". Genannt werden auch nicht zertifizierte Eigenschaften wie "frisch" oder "natürlich", aber auch eine breite Palette umweltbezogener Aussagen, die Greenwashing gleichkämen.

Keine hohe Priorität

Aus Sicht des EU-Rechnungshofes wird der Aufklärung der Verbraucher keine hohe Dringlichkeit beigemessen. Die EU habe zwischen 2021 und 2025 nur rund 5,5 Mio. Euro für Sensibilisierungskampagnen zur Lebensmittelkennzeichnung zur Verfügung gestellt. Die Mitgliedstaaten hätten solche Kampagnen bestenfalls sporadisch durchgeführt. Als Beispiel verweisen die Prüfer auf die auf Produkten vorgeschriebene Datumsangabe. Diese werde von den Verbrauchern oft nicht richtig verstanden, da der Unterschied zwischen dem Verfalls- und dem Mindesthaltbarkeitsdatum nicht klar erkennbar sei.

Nicht zufrieden ist der EuRH auch mit den amtlichen Kontrollen.

Lebensmittelunternehmen könnten die "schwachen Kontrollen und Sanktionen" ausnutzen, heißt es. Bei vorgeschriebenen Angaben funktionierte die Überwachung zwar in der Regel zwar gut. Freiwillige, nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben oder der Online-Verkauf von Lebensmitteln würden jedoch - wenn überhaupt - nur selten überprüft. Websites außerhalb der EU entzögen sich fast jeglicher Kontrolle. Zugleich habe der Online-Handel zuletzt deutlich zugelegt. Zudem sind die bei Verstößen verhängten Bußgelder nach Ansicht der Prüfer häufig nicht abschreckend, wirksam oder verhältnismäßig. AgE

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